Frankfurter Allgemeine Zeitung
Projektbeitrag für Deutschlands Schulen, 9. Dezember 2024

Das Klavier kennt nur Schwarz und Weiß
Das Piano-Duo Chris & Mike hat einen besonderen Tastensinn für Zwischentöne

 

Vorhang auf für zwei Boogie-Woogie-Musiker. Die Nebelmaschinen erzeugen eine magische Atmosphäre, im Licht der Scheinwerfer erscheinen zwei Pianos. Die Stille wird durchbrochen von den ersten Takten Musik. Die virtuosen Klänge der Pianos, begleitet von den kräftigen Stimmen der Pianisten, versetzen das Publikum in Staunen, das sich bald in Applaus verwandelt. Mit einer auf sie abgestimmten Band geben die beiden ein Repertoire zum Besten, das gute Stimmung verbreitet. Das Wechselspiel von perfekter Technik des einen und Improvisationsfreude des anderen macht ihr Konzert zu einem Erlebnis. Wer aber sind die beiden Männer, die so begeistern?

Schon im Jugendalter verbrachten die Brüder Christoph und Michael Keller, die sich „Chris & Mike“ nennen, unzählige Stunden in der Aula und auf der Bühne der Kantonsschule Zürcher Oberland in Wetzikon, wo alles anfing. Sie gaben kleine Konzerte für Freunde und Familie. Chris erinnert sich: „Am 16. März 1991 haben wir das erste Mal vor über 500 Leuten in der Aula gespielt.“ Die Gymnasiasten organisierten außerdem Tanzvorstellungen und Kulturevents. Kein Wunder, dass der heute Einundfünfzigjährige auch Event Creator ist. Diese Karriere war nicht so geplant. „Während des Gymnasiums habe ich angefangen, für die Tageszeitung ‚Zürcher Oberländer‘ zu schreiben.“ Von der Zeitung über „Radio Zürisee“ bis zum Redaktor und Moderator beim Tagesfernsehen von SRF – Chris hat viel erlebt in der Medienwelt. „Ich stand fünf Jahre lang vor der Kamera, die Ausbildung zum Moderator war unglaublich. Später war ich acht Jahre hinter der Kamera als Produzent, Programm- und Ideenentwickler tätig.“

Dabei hat die Musik stets eine wichtige Rolle gespielt. „Ich mache seit 34 Jahren ununterbrochen Musik, weil sie mir im Kopf und im Bauch immer gutgetan hat. Immer, egal was war.“ Er rückt seine Brille zurecht. „Nach 13 Jahren beim Schweizer Fernsehen musste ich mich fragen: Musik oder Medien? Ich habe mich relativ schnell für die Musik entschieden.“ Da es schwierig war, ausschließlich mit der Musik genügend Geld zu verdienen, mussten sich die Brüder etwas suchen, um über die Runden zu kommen. Die Lösung war eine Eventlokalität in Effretikon, der Stadthaussaal. Als dessen Pächter sind sie für dessen Betrieb verantwortlich. Wenn also einer von 200 Events pro Jahr stattfindet, ist es die Aufgabe der Brüder, alles zu organisieren: von der Gastronomie über die Bühnentechnik bis hin zu Personal und Reinigung. Parallel dazu gründeten Chris und der damalige Banker Mike vor 20 Jahren die Chris & Mike GmbH.

20 Jahre, zehn Platten, vier DVDs und 2500 Konzerte später überzeugen die Brüder noch immer bei jedem Konzert mit ihrer ungebrochenen Leidenschaft zur Musik. Von Boogie-Woogie über Blues und Rock bis hin zu Pop, die beiden performen alles, was ihnen Spaß macht. Es gibt auch Schattenseiten, sagt Chris. „Das Schwierigste ist das berufliche Überleben. Alles wird teurer, der Betrieb des Saales, die Werbung, einfach alles. Aber das Anstrengendste ist das Herausstechen, das Auf-sich-aufmerksam-Machen.“ Schmunzelnd meint er: „Nicht, dass wir nicht wissen, wie es geht, aber es wird immer schwieriger.“

Was ist das Schönste an seinem Beruf? „Eine Standing Ovation. Die Anerkennung, wenn die Leute nach einem Auftritt im Saal aufstehen. Da kriege ich schon Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Die Musik erzählt Geschichten. Und wenn diese berühren, das ist etwas vom Schönsten. Umsatz ist wichtig, aber der Applaus ist das Tüpfelchen auf dem i.“

Musik begleitet die Familie Keller auch im Alltag. „Mein Vater ist sehr unmusikalisch. Aber meine sechzehnjährige Tochter singt außerordentlich gut, und meine dreizehnjährige Tochter tanzt für ihr Leben gern“, sagt Chris. Seine Frau besuche regelmäßig die Auftritte des Duos. „Früher hat es mich nervös gemacht, wenn meine ganze Familie im Saal saß, aber heute fühle ich mich unglaublich wohl, wenn sie hier sind.“ Nervös sei er vor jedem Auftritt, je älter er werde, desto schlimmer werde es. „Immer, wenn ich nervös bin, ziehe ich mich in die Garderobe zurück und stelle den Haarföhn an. Das hilft mir herunterzufahren und dann 100 Prozent zu geben. Auf der Bühne hat man alle am kleinen Finger, und ich brauche sie, diese Nervosität, um mich voll und ganz zu fokussieren.“

Und wie sieht der Alltag aus? „Man kann nicht 16 Stunden am Stück bis tief in die Nacht arbeiten, erst um drei Uhr morgens zu Hause sein und dann am nächsten Morgen um acht im Büro stehen. Das habe ich vielleicht mit 30 gemacht.“ Am Morgen sei er der Letzte, der aus dem Haus gehe. Danach erledige er viel Büroarbeit, Abrechnungen, Bestellungen, Logistik und viel PR. Denn auch bei ihren Auftritten machen sie alles selbst: vom Aufbau über den Soundcheck bis zum Abbau. „Dort, wo man am meisten leisten muss, zwischen 20 und 22 Uhr, da ist man schon müde von den ganzen Vorbereitungen, und alle erwarten das Beste von dir.“ Trotz all der Anstrengungen wurden die zwei nie so richtig berühmt. „Ich hätte es auch gerne anders gehabt, aber das war für uns nun mal ohne Plattenlabel nicht möglich. Aber wir haben die Musik im Blut, und diese Erfahrung nimmt dir niemand.“

Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit seiner Familie, in der Natur oder am Herd. Auch privat hört er viel Musik: Coldplay, Helene Fischer, Adele und Taylor Swift. „Man kann mir eigentlich alles an Musik vorsetzen, manchmal höre ich auch klassische Musik ganz laut im Auto.“ Ein Ende des Piano-Duos sei nicht in Aussicht: „Wir machen das so lange, bis der eine nichts mehr hört und den anderen fragt, ob er schon spielt.“

Ein Projektbeitrag von:  F.A.Z., 09.12.2024, Nr. 287, Jugend schreibt, S. 26, Joëlle Hartmann, Kantonsschule Zürcher Oberland,